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Identitätspolitik oder das Streben nach Gleichberechtigung? 

 Mai 27, 2021

By  Gastautor:in

Identitätspolitik wird mittlerweile auch als Kampfbegriff genutzt und steht stark in der Kritik. Dem liegt häufig ein – bewusstes oder unbewusstes – Missverständnis zugrunde. Gegner:innen der Identitätspolitik klagen, dass Menschen entlang von Religion, Geschlecht, Sexualität, Alter, Behinderung und nicht zuletzt der Herkunft neue Begriffe und Kategorien erschaffen und dabei Sonderrechte fordern würden – ja, sie sprechen sogar von neuer Separation und Bevorzugung von Minderheiten. Der Vorwurf trifft vor allem Frauen, nicht binäre Personen und BIPoC (1). Dies ist jedoch zu kurz gegriffen.

Tatsächlich ist Identitätspolitik häufig eine Reaktion auf bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten, die mehr als Korrektiv dient. Ausgangssituation ist die Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Bereichen. In Deutschland werden Menschen auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche benachteiligt, haben eine niedrigere Lebenserwartung oder eine schlechtere Gesundheit. Ein Blick in die Parlamente oder in die Redaktionen der Bundesrepublik genügt, um festzustellen, dass in Sachen Repräsentation noch ein weiter Weg zu gehen ist. Milde gesagt, bedeutet die Summe dieser erwähnten Zustände beispielsweise für Schwarze Menschen (2) und andere als nicht deutsch und christlich verstandene Menschen, dass sie häufig den Kürzeren ziehen. Im Klartext gesprochen kann es für sie physische Gewalt oder existenzielle Not bedeuten.

Identitätspolitik ist im Sinne des Grundgesetzes

Wenn sich nun Mitglieder dieser benachteiligten Personengruppen organisieren, um Gleichberechtigung zu fordern, dann hat das eben nichts mit Sonderrechten zu tun, sondern mit dem Bestreben nach Gleichbehandlung, Gleichstellung und Gerechtigkeit. Dieser Anspruch ist in Artikel 3 des Grundgesetzes ausformuliert:

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Dieses Zitat steht auch auf der Fassade des Essener VielRespektZentrums. In der Begegnungs- und Engagement-Stätte sind Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung usw. aktiv. Sie setzen sich zum Teil für die Interessen einer sozialen Gruppe ein, der sie sich zugehörig fühlen oder mit der sie solidarisch sind. 

Das VielRespektZentrum lebt das Grundgesetz

Die Menschen im Essener VielRespektZentrum arbeiten auch jenseits der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe miteinander und verfolgen eben auch gemeinsame Interessen. Alle eint das Bekenntnis zum Grundgesetz, das Wohlwollen und eine erfrischend wohlgesonnene Art, sich gemeinsam für ein besseres Miteinander einzusetzen. 

Das Essener VielRespektZentrum lebt eine offene, vielfältige Gesellschaft im Kleinen und möchte ein Vorbild für die Gesellschaft sein. Ein Ort, an dem sich alle mit Respekt begegnen, Vielfalt wichtig finden und gemeinsam an Ideen für die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenlebens arbeiten. Das Besondere: Man muss gar nicht ein und derselben Meinung sein. Schließlich meint Vielfalt, dass wir die Welt unterschiedlich interpretieren und erleben.

“Machtkämpfe und Vorwürfe zur Identitätspolitik sind als Wachstumsschmerzen zu deuten.“

Was die Aktiven im Zentrum eint, ist der Wunsch, sich in dieser Gesellschaft heimisch zu fühlen, gleichberechtigt und mit den gleichen Aussichten auf gesellschaftlichen Aufstieg zu leben – dazu gehört auch, verkrustete Herrschaftsverhältnisse und Machtstrukturen zu hinterfragen. Für manche fängt ihre Sichtbarkeit und die Umsetzung von Antidiskriminierung beispielsweise in der Sprache an. Unweigerlich wird der allseits etablierte Status Quo infrage gestellt, was bei “Alteingesessenen” Irritation, Angst bis zu starker Ablehnung hervorrufen kann.

Doch, um den Vorsitzenden der hinter dem Zentrum verorteten Stiftung, Ali Can, zu zitieren: “Machtkämpfe und Vorwürfe zur Identitätspolitik sind als Wachstumsschmerzen zu deuten, ehe wir uns als solidarische und souveräne Einwanderungsgesellschaft aufstellen und um alle Menschen in Deutschland gleichermaßen kümmern.” 

  1. BIPoC steht für Blacks, Indigenous, People of Colour (zu deutsch: Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund bzw. solche, die nicht weiß gelesen werden)
  2. Schwarze Menschen ist (anders als weiße Menschen) eine Selbstbezeichnung. Es geht dabei nicht um eine Eigenschaft, die auf die Hautfarbe zurückzuführen ist, sondern um eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. Wir übernehmen hier diese politische Selbstbezeichnung und schreiben »Schwarz« deswegen groß.

Gastautor:in


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